Künstler

Ernst Ludwig Kirchner

Titel

Sich kämmender Akt

Ausgestellt
Jahr
1913
Gattung
Material / Technik
Maße
Bildmaß 125 × 90 cm
Rahmenmaß 146,5 × 111 × 5,5 cm
Details zum Erwerb
Erworben 1971 aus dem Kunsthandel
Credits
Ernst Ludwig Kirchner, Sich kämmender Akt, 1913, Öl auf Leinwand, Brücke-Museum, Gemeinfreies Werk
Objektreferenz
Vorderseite von Violette Bäume

Provenienz

Das Gemälde wurde 1924 mit 23 weiteren Werken aus der Frankfurter Sammlung von Rosy Fischer an das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle verkauft (vgl. Ernst Ludwig Kirchner, Im Cafégarten, Inv.-Nr. 1/66). Im Kaufvertrag wurde vereinbart, dass von der Stadt Halle an Rosy Fischer (1869–1926) und nach ihrem Tod auch an ihre beiden Söhne, bis 1944 eine Rente zu zahlen sei. Diese Vereinbarung wurde aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung der Söhne nicht bis zum festgelegten Zeitpunkt eingehalten. In der Nachkriegszeit erhielten sie deswegen eine finanzielle Entschädigung. Nachdem das Gemälde im Juli 1937 in Halle im Rahmen der nationalsozialistischen Aktion Entartete Kunst beschlagnahmt worden war, übernahm es 1940 der Kunsthändler Ferdinand Möller (1882–1956) vom Deutschen Reich. Entgegen seines Auftrags veräußerte er das Gemälde nicht ins Ausland, stattdessen verblieb es in seinem Besitz. Nach seinem Tod behielt es seine Ehefrau Maria Möller-Garny (1886–1971) noch bis 1970. In diesem Jahr gelangte es zur Auktion bei Kornfeld und Klipstein in Bern, aus der die Galerie Kornfeld es selbst erwarb. 1971 konnte es hier für die Sammlung des Brücke-Museums angekauft werden.

Ausstellungen (Auswahl)

Literatur (Auswahl)

  • Allgemeine Deutsche Kunstausstellung Dresden 1946, Ausst.-Kat. 1946.

  • Leopold Reidemeister, Das Brücke-Museum, Berlin 1984.

  • Magdalena M. Moeller, Das Brücke-Museum Berlin, Prestel, München 1996.

  • Magdalena M. Moeller (Hg.), Brücke. La nascita dell´espressionismo, Ausst.-Kat. Fondazione Antonio Mazzotta Milan, Mazzotta, Milano 1999.

  • Magdalena M. Moeller (Hg.), Die Brücke. Meisterwerke aus dem Brücke-Museum Berlin, Ausst.-Kat. Brücke-Museum Berlin, Hirmer Verlag, München 2000.

  • Javier Arnaldo, Magdalena M. Moeller (Hg.), Brücke. Die Geburt des deutschen Expressionismus, Ausst.-Kat. Berlinische Galerie, Hirmer Verlag, München 2005.

  • Javier Arnaldo, Magdalena M. Moeller (Hg.), Brücke. El nacimiento del expresionismo alemán, Ausst.-Kat. Museo Thyssen-Bornesza Madrid/Fundación Caja Madrid, Madrid 2005.

  • Brücke. El naixement de l'expressionisme alemany, Ausst.-Kat. Museu Nacional d'Art de Catalunya Barcelona, Lunwerg, Barcelona 2005.

  • Dirk Luckow, Magdalena M. Moeller, Peter Thurmann (Hg.), Christian Rohlfs. Die Begegnung mit der Moderne, Ausst.-Kat. Kunsthalle zu Kiel / Brücke-Museum Berlin, Hirmer Verlag, München 2005.

  • Magdalena M. Moeller (Hg.), Brücke-Museum Berlin, Malerei und Plastik. Kommentiertes Verzeichnis der Bestände, Hirmer Verlag, München 2006.

  • Magdalena M. Moeller und Rainer Stamm (Hg.), ... die Welt in diesen rauschenden Farben. Meisterwerke aus dem Brücke-Museum Berlin, Ausst.-Kat. Landesmuseum Oldenburg, Hirmer Verlag, München 2016.

  • Magdalena M. Moeller (Hg.), Brücke Museum Highlights, Hirmer Verlag, München 2017.

  • Christian Philipsen i. V. m. Thomas Bauer-Friedrich (Hg.), Bauhaus Meister Moderne. Das Comeback, Ausst.-Kat. Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale), E.A. Seemann Verlag, Leipzig 2019.

  • Meike Hoffmann, Lisa Marei Schmidt, Aya Soika für das Brücke-Museum (Hg.), Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus, Ausst.-Kat. Brücke-Museum , Hirmer Verlag, München 2019.

Details

Signatur/Bezeichnung
Signiert unten rechts: EL Kirchner (Signatur)
Nicht bezeichnet (Bezeichnung)

Inventarnummer
7/71

Werkverzeichnisnummer
Gordon 361

(Șeyda Kurt)

Sei dein Most Amazing Self: Wieso der Wellness-Hype ein Mythos ist, der vor allem von unserer Hoffnung lebt

Ratschläge werden zu „Ritualen“, banales Auf-sich-Acht-geben zu Selbstliebe. Alles wird zu einer Religion, alles „game-changing“. Alles muss wahr sein, in einer Welt, die vielen irgendwie zu mehrdeutig erscheint – wenn es auch nur ums Wassertrinken geht. Eine Frage wird aber viel zu selten gestellt: Wenn Wellness der Weg ist, was ist dann eigentlich das Ziel?

Was gibt es Schöneres als einen Tag in der Therme, eingemummelt in einen weichen Bademantel, gemächlich wandernd zwischen Sauna und Whirlpool, durch angenehme Aktivierung des Körpers die Erschöpfung der letzten Wochen an die Oberfläche kriechen und dann im absoluten Nichtstun versickern zu lassen?

Warum Wellness in unserer oft überarbeiteten, seelisch überstrapazierten westeuropäischen Gesellschaft so beliebt ist, erklärt sich von selbst. Aber Zeitgeist ist das nicht mehr unbedingt. Stattdessen ist seit einiger Zeit ein anderes Konzept auf dem Vormarsch, das vor allem viral auf sich aufmerksam macht: Self-care.

Unter dem Hashtag findet man in den sozialen Medien Millionen von Beiträgen: von teuer aussehenden Outfits und noch teureren Gesichtsölen bis hin zu Selfies bei Yoga-Sessions im Kerzenlicht oder selbstgebackenen Schoko-Brownies. Bei Self-care geht es, wie uns der englische Begriff unweigerlich verrät, um eine Art Selbst-Pflege.

Und damit ist nicht die basale Selbstversorgung gemeint, die zum Leben der meisten erwachsenen Menschen dazu gehört: Essen, Hygiene und Schlafen. Obwohl – so abwegig ist die Assoziation erst einmal nicht. Ursprünglich ging es tatsächlich nicht um viel mehr: um die Fähigkeit jedes Menschen, Entscheidungen zu treffen, die das eigene Wohlbefinden bewahren und fördern.

Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch der Trend will mittlerweile mehr: eine Neustrukturierung des Alltags, des Denkens und der Sicht auf das eigene Leben. Eine Kollegin schrieb mal über Self-care, es gehe auch um die „Entscheidung, die beste Version unserer selbst zu sein.“ Wo finde ich die festgeschrieben und wer entscheidet, welche das ist? Da das essentialistischer Stuss ist, und nie irgendjemand erfahren wird, was die „beste Version“ ihrer*seiner selbst sein soll, holen sich manche ihre Antworten woanders. Etwa bei Goop.

Die US-amerikanische Schauspielerin Gwyneth Paltrow steckt hinter diesem 250-Millionen-Dollar schweren Unternehmen. Sie startete Goop im Jahr 2008 als einfachen Newsletter, in dem sie nicht nur Restaurant-Tipps in Paris gab, sondern auch mit den Inhalten, die Goop heute als selbsternannte „modern lifestyle brand“ ausmachen: Wie kann ich mühelos meine Gedanken sortieren? Wie komme ich in zehn Schritten zu meiner individuellen Zufriedenheit?

Fragen also, die andere Menschen jahrelang mühevoll studieren, bevor sie die Erlaubnis haben, anderen Menschen professionell helfen zu dürfen. Heute findet man auf der Goop-Website auch Designertaschen für 680 Euro mitsamt Empfehlung, welches Schmuckstück bei welcher Reise in eine europäische Metropole zu tragen ist. Auch Männer kommen etwa mit einem Rasierpinsel im Wert von 38 Euro auf ihre Kosten.

Dass diese Produkte für die meisten Menschen unbezahlbar sind, ist kein Zufall. Verkauft wird ja nicht nur eine andere Version deines Körpers. Es geht nicht mehr lediglich um körperliche Heilung, sondern um das Mindset, das mitgeliefert wird. Je teurer der Yoga-Kurs ist, desto mehr bedeutet dies, dass ich es mir wert bin, also auch: wertvoller als andere.

Self-care ist schon längst eine Glaubensfrage

Ratschläge werden zu „Ritualen“, banales Auf-sich-Acht-geben zu Selbstliebe. Alles wird zu einer Religion, alles „game-changing“, eine Vokabel, die auf der Webseite von Goop immer wieder auftaucht. Alles muss wahr sein, in einer Welt, die vielen irgendwie zu mehrdeutig erscheint – wenn es auch nur ums Wassertrinken geht.

Self-care ist schon längst eine Glaubensfrage: auf der einen Seite die Goopist*innen, auf der anderen Seite Menschen wie Jen Gunter. Sie ist Gynäkologin und Autorin und versucht in ihrem Blog mit den vermeintlichen Gesundheitstipps aufzuräumen, die Goop in die Welt setzt.

In einem offenen Brief an Paltrow schreibt sie: „Tampons are not vaginal death sticks, vegetables with lectins are not killing us, vaginas don’t need steaming.“ 2017 musste sich selbst die US-Raumfahrtbehörde NASA einschalten: Die 120-Dollar-Body-Vibes-Sticker, die laut Goop aus demselben Stoff gefertigt sind wie Raumanzüge, um die Energie-Frequenz im Körper auszugleichen, seien Bullshit.

Erdacht werden diese Konzepte offensichtlich von Menschen, die gelernt haben, dass es wichtig ist, auf die körperlichen Bedürfnisse hören. Das ist ein Riesenprivileg, nicht nur in Bezug auf das Geld, sondern auch auf die beanspruchte Zeit und Energie. Nicht alle haben gelernt, dass die Unversehrtheit ihres Körpers eine Relevanz hat, es sei denn, er soll arbeiten und funktionieren.

Die Konzipierenden von Goop und Co. haben aus ihrer Sicht offenbar auch gelernt, aus den Signalen ihres Körpers die vermeintlich richtigen Konsequenzen zu ziehen. Doch wer weiß am Ende schon, welche das sind? Es könnte sein, dass Wissenschaftler*innen in hundert Jahren den Kopf schütteln, und sich fragen, warum wir kollektiv derart damit beschäftigt waren, mit so viel Flüssigkeit möglichst viele Mineralien aus dem Körper herauszuspülen.

Das, was gut ist, wird letztlich auch bei diesem Thema aus der Perspektive derer erzählt, die erstens die Stimme, das Image und die Repräsentation dafür haben. Und zweitens die Kohle, was sonst. Hier sind drei Tipps, die den meisten Menschen auf dieser Welt zu einem besseren Körpergefühl verhelfen würden: weniger schwere körperliche Arbeit, kürzere Arbeitszeiten, weniger existenzielle Ängste.

Natürlich ist es wichtig, auf die eigenen Bedürfnisse hören, sich nicht ausbeuten zu lassen, ausreichend zu schlafen, sich Gutes zu tun, auch zu kaufen! Problematisch wird es, wenn der Körper derart symbolisch aufgeladen wird, wenn gerade Körper von als Frauen gelesenen Menschen weiteren Regulierungen unterworfen wird, wenn mehrheitlich weiße, wohlhabende Menschen andere Kulturen fetischisieren auf ihrem vermeintlichen Weg zu sich selbst.

Ja, in Japan wird vielleicht das Tee-Trinken als ein spirituelles Ritual praktiziert. Wenn du aber einmal im Bio-Markt den Entspannungstee gekauft hast, ist das nicht dasselbe. Es ist lediglich der Versuch, sich oberflächlich und unreflektiert in eine kulturelle Praxis einkaufen zu wollen. Und er macht dein Leben nicht besser.

In dieser Hinsicht ist Self-care nicht weit weg von modischen, westeuropäischen Rucksack-Tourist*innen, die nach dem – es ist so grausam, dass man es kaum ausschreiben will – vermeintlich Ursprünglichen suchen: drei Wochen pure Natur, Instinkte statt Analysen, Herzlichkeit statt Leere, körperliche Arbeit statt Entfremdung, Reinheit statt Instagram-Filter (der dann aber bei den Fotos, die vom Trip veröffentlicht werden, doch zum Einsatz kommt).

Hinter dieser Denke steckt so viel westliche Selbstgefälligkeit und Exotisierung durch rassistische Stereotype, aber auch vor allem Naivität. Jeder Mensch und jeder Körper ist ein Produkt seiner Umgebung, seiner Geschichte, kultureller Praktiken und vorgebildeten Realitäten. Zu denken, dass man diese bei und nach solch einem Trip einfach abstreifen könnte, ist nicht mehr als ein Versprechen von pfiffigen Reiseveranstalter*innen.

Goop bietet dazu etwa auch einen Escape Guide mit kostspieligen Reisezielen für die nächste Flucht aus dem Alltag an, etwa auf Weingütern und Bauernhöfen. So richtig back to the roots, selber produzieren, selber essen, selber bauen, möchte man denken, wenn es da nicht die Sache mit den Designer*innenklamotten gäbe, die schmutzig zu werden drohen. Entwarnung gibt es aber im Guide: „Many of these getaways are on working farms, meaning you often get to experience the entire production line (without necessarily getting your hands dirty).“

Die Zugehörigkeit zu einer ominösen Natur sollte bei allen spätestens da gekappt worden sein, als nach der Geburt das erste Mal grelles Licht in einem Kreißsaal aus Menschenhand auf uns schien. Seitdem sind auch unser Blick und unsere Erwartungen an die Natur gesellschaftlich anerzogen.

Das bedeutet nicht, dass etwas dagegen spricht, ein neues Gefühl der Körperlichkeit zu entwickeln, und das Werkzeug, mit dem wir auf die Welt zugreifen und Teil ihrer werden, nicht mehr als Fremdkörper zu verstehen. Doch kann dies funktionieren, solange er von Naturfans bis Konzernchef*innen derart idealisiert, diskutiert und vermarktet wird?

Self-care ist gefährlich, wenn es nicht mehr darum geht, dass es dem Körper gut geht, sondern sein Befinden für etwas steht, was auf- oder entwertet wird: für einen Lifestyle und für eine Geisteshaltung. Die harmonische Frau scheint die zu sein, die lächelt und strahlt, und das von innen wie außen, eine, die natürlich schön ist (während sie Gesichtsmasken für 30 Dollar aufträgt).

Self-care in seiner heutigen Form ist also nicht zuletzt der Wunsch nach einer vermeintlichen individuellen Normalisierung, zurück zu dem, was ursprünglich richtig zu sein schien. Weder gibt es das, noch ist ein unharmonisches Ich – eins, das zweifelt, friedlos und wütend ist – etwas, das es angesichts dieser unerfüllbaren Erwartungen an unsere Körper zu bekämpfen gelte. Ganz im Gegenteil.

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