Die Brücke-Künstler und die nationalsozialistische Aktion „Entartete Kunst“
Meike Hoffmann
wissenschaftliche Mitarbeiterin / Freie Universität Berlin
Die NS–Aktion „Entartete Kunst“ begann Ende Juni 1937 und dauerte offiziell bis Ende Juni 1941 an. Sie umfasste die systematische Beschlagnahme bzw. Entfernung (Deakzession) aller modernen Kunstwerke aus öffentlichen Institutionen in Deutschland, sowie deren Verfemung in Ausstellungen, auf öffentlichen Veranstaltungen, in Filmen und Publikationen. Der aus der Evolutionsbiologie stammende Begriff „Entartung“ fand bereits über die im 19. Jahrhundert entwickelte pessimistische Weltanschauung seinen Weg in Kunst- und Kulturtheorien. In den 1920er-Jahren nahm die Diffamierung moderner Kunst durch reaktionäre Kreise parallel zum Aufblühen der avantgardistischen Kunstszene zu. Im Nationalsozialismus gehörte der Begriff zum festen Vokabular der Propagandasprache und erreichte mit der Aktion „Entartete Kunst“ eine enorme Schlagkraft gegen unliebsam gewordene Kunst. Durch die Reduzierung auf das Wort „entartet“ lösten die Nationalsozialisten die Bewertungskriterien aus der kunsthistorischen Fachsprache und banden diese an Kategorien der Rassenlehre. So konnte jede Kunstrichtung, die sich jenseits der akademisch-idealistischen Norm bewegte, darunter subsumiert werden.
Die Brücke-Künstler waren von der Aktion besonders stark betroffen. Obwohl sie auch noch nach 1933 auf Unterstützer und Förderer aus NS-Kreisen hoffen konnten, die versuchten sie als Vorbild für die deutsche Staatskunst ins Regimes einzuführen, waren es ihre Werke, die ab 1937 unter dem Vorwurf der „Entartung“ am häufigsten aus Museen und Ausstellungshallen geräumt wurden. So stammten nach heutigem Forschungsstand von den reichsweit über 21.000 eingezogenen Werken allein 1082 von Emil Nolde, 762 von Karl Schmidt-Rottluff, 760 von Erich Heckel, 706 von Ernst Ludwig Kirchner, 509 von Max Pechstein und 404 von Otto Müller. Das Übergewicht expressionistischer Werke im Allgemeinen und das der Brücke-Künstler im Besonderen entsprach den Erwerbungsrichtlinien der Museen in den Jahren der Weimarer Republik. Erstmals war es unter der neuen Regierung möglich, Werke von lebenden Künstlern in staatliche Sammlungen zu integrieren. Der Direktor der Nationalgalerie Ludwig Justi hatte mit der Eröffnung des Kronprinzenpalais gleich 1919 ein Fanal für die Museumsreform der kommenden Jahre gesetzt, die ihre Wege bis in die hintersten Provinzen fand. In seiner Neuen Abteilung sollte der Expressionismus als deutscher Beitrag zur internationalen Moderne das Land nach dem verlorenen Krieg als Kulturnation wieder auferstehen lassen.
Die zentrale Rolle, die den Brücke-Künstlern als Begründer des Expressionismus bei der Identitätsstiftung zukam, rettet sie zunächst über den Regierungswechsel 1933 hinweg, drehte sich mit der Zeit aber ins Gegenteil. Ab 1937, nachdem die „Gleichschaltung“ aller Bereiche des öffentlichen Lebens abgeschlossen war, ließ man ihre Werke auf der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München prominent ins Rampenlicht rücken. Vom 19. Juli bis Ende November 1937 wurden dort unter viel Inszenierungsaufwand einige Hundert der beschlagnahmten Werke dem Gespött der Besucher preisgegeben. Joseph Goebbels hatte die Idee realisiert – als Kontrast zur ersten „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im neuerbauten „Haus der Deutschen Kunst“, die einen Tag zuvor eröffnet worden war. Nach dem Auftakt in München wanderte die „Entartete Kunst“ durch zahlreiche Orte in Deutschland und Österreich. Schon zuvor hatte es auf regionaler Ebene Femeausstellungen gegeben, jetzt aber stand die Reichsregierung dahinter. Sie nutzte den Feldzug gegen die Moderne, der überall von einer ausführlichen Berichterstattung begleitet wurde und sogar in Unterhaltungsfilmen seine Umsetzung fand, um gezielt gegen die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik zu hetzen, die einer angeblichen „Jüdisch-Bolschewistischen Weltverschwörung“ Tür und Tor geöffnet habe, mit der die deutsche Kultur zersetzen worden sei.
Das Brücke-Museum besitzt eine ganze Reihe von Meisterwerken, die 1937 im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ aus anderen Museen beschlagnahmt worden waren: Ernst Ludwig Kirchner Artistin, 1910 (ehem. Jenaer Kunstverein), Sich kämmender Akt, 1913 und Im Cafégarten, 1914 (beide ehem. Städtisches Museum für Kunst und Kunstgewerbe Halle a.d. Saale), Selbstbildnis, 1914 (ehem. Hamburger Kunsthalle); Karl Schmidt-Rottluff Römisches Stilleben, 1930 (ehem. Nationalgalerie Berlin); Erich Heckel Drei Frauen vor roter Uferwand, 1921 (ehem. Städtische Kunsthalle Mannheim); Otto Mueller Drei Akte in Landschaft, 1922 (ehem. Kaiser Wilhelm Museum Krefeld). Welches Schicksal erwartete die Kunstwerke nach ihrer Beschlagnahme durch die Nationalsozialisten? Wie kamen sie ins Brücke-Museum und was ist heute ihr rechtlicher Status?
Herman Göring setzte sich Anfang 1938 durch, einen Teil der Werke gegen Devisen ins Ausland zu verkaufen. Daraufhin wurde am 31. Mai 1938 das »Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst« (RGBl I, S. 612) erlassen, mit dem das Reich endgültig die Verfügungsgewalt über die beschlagnahmten Kunstwerke erhielt. Eine Auktion von 125 Meisterwerken in der neutralen Schweiz am 30. Juni 1939 gab den Auftakt der „Verwertungsaktion“, gefolgt von Freihandverkäufen der umfangreichen Restbestände über ausgewählte Kunsthändler. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist das Gesetz vom Alliierten Kontrollrat nicht aufgehoben worden und auch der Museumsrat Nordwestdeutschlands bestätigte im September 1948 den Beschluss, da die Werke keinen Privatpersonen im Zuge einer NS-Verfolgung entzogen worden waren, sondern öffentlichen Sammlungen aufgrund ästhetischer Prinzipien. Es sollte kein neues Unrecht durch eine Rückabwicklung den Personen zugefügt werden, die sich für den Erhalt der Werke eingesetzt hätten. Somit sind die Besitzerwechsel nach der Beschlagnahme bis heute juristisch anerkannt.
Meike Hoffmann ist Dozentin für Provenienzforschung und NS-Kunstpolitik an der Freien Universität Berlin. Sie leitet dort die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ sowie die Mosse Art Research Initiative (MARI). Sie war zuletzt Ko-Kuratorin der Ausstellung Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus (mit Aya Soika und Lisa Marei Schmidt, Brücke Museum, Berlin und Kunsthaus Dahlem, 2019).
Zur Geschichte und Rekonstruktion der Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ siehe das Webportal der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität Berlin samt Datenbank.