In den Werken der Brücke-Künstler finden sich zahlreiche Figuren-Darstellungen, viele davon sind Akte. Schauen wir aus heutiger Perspektive auf nackte Menschen, stellen sich Fragen zu Körper und Gender.
Innerhalb eines Workshops haben sich sechs Personen über das Werk Liegender Akt vor Spiegel von Ernst Ludwig Kirchner unterhalten. Sie sprechen über Körper aus ihren jeweiligen Perspektiven. Im Gespräch waren: Auro Orso, Claude Förster, Felicia, Icecold Alma, Josephine A.V. Deutesfeld und Sandra Ortmann | Panda.
Auro:
Was mir auf jeden Fall erst mal aufgefallen ist, ist, dass es ein sehr normierter Körper ist, also ein Körper, der in die Schönheitsideale der jetzigen westlichen Gesellschaft sehr, sehr gut reinpasst. Einfach weil es ein sehr schlanker Körper ist. Eine weiße Person. Es sieht aus, als wäre es eine „able-bodied“ Person. Genau. Zum Beispiel. Und dann ist mir auch aufgefallen, dass die Perspektive von oben runter ist. Also der Po wird einfach sehr stark in Szene gesetzt und wird dann auch noch so doppelt gezeigt. Also der wird doppelt betont, einmal im Spiegel von oben noch mal und es wirkt wie aus einem Machtverhältnis heraus, dass da drauf gesehen wird. Und andererseits wirkt die Person auf den ersten Blick eigentlich sehr entspannt, raucht irgendwas. Meine erste Assoziation dazu war Opium. Aber ja, es kommt wahrscheinlich auch darauf an, aus welcher Zeit dieses Bild ist. Das weiß ich jetzt nicht.
Auro:
Was ich krass finde sind diese roten Haare, weil die auch so ein krasses Symbol für Sexualität sind – andererseits wurden früher auch Hexen damit assoziiert und für mich ist rot, beziehungsweise ist der rote Regenschirm eine Farbe der Sexarbeit.
Felicia:
Was mir aber gleich ins Auge gestoßen ist, ist, dass man durch diesen Spiegel einen Rundumblick auf diese Person hat. Es ist ein bisschen irritierend, weil ich finde die Position auch nicht so entspannend. Mein erster Eindruck war, dass es darum geht, diesen Menschen aus allen Winkeln darzustellen, und gar nicht so krass um die Person selbst. Dass durch den Spiegel versucht wird, jeden möglichen Winkel einzufangen.
Josephine:
Als ich mir das Bild angeschaut habe, hat es für mich einfach viel Irritation bewirkt, ich konnte auch die Reflexion und die Person selbst nicht so gut zusammenbringen. Ich habe mir Gedanken gemacht, ob es ein abled oder disabled body ist, weil mich die Formen irritiert haben und ich finde die Form, die ich im ersten Körper sehe, so im zweiten nicht wieder.
Auro:
Vielleicht lese ich das rein, aber es hat ein krasses Feeling von einem Male Gaze, also diese Vorstellung, dass die Person vielleicht eine Person ist, die in irgendeiner Form Sexarbeit macht. Ich weiß nicht, auch so ein bisschen diese Obsession, auf Spanisch sagt man mordable, diese Schaulust und der Kitzel vom Verbotenen, den viele Menschen mit sex-arbeitenden Personen haben. Einerseits diese weibliche, geheimnisvolle Schönheit zu zeigen, wo alles so schön und fließend ist. Auf der anderen Seite, dass die Person traurig oder opiumabhängig ist. Und das ist so ein Klischee, das in vielen Darstellungen und Filmen zu sehen ist und woran sich ein bisschen aufgegeilt wird.
Icecold:
Jetzt wo du es sagst, ich habe vor kurzem diese Comedyshow von Hannah Gadsby gesehen, in der sie die ganze Zeit darüber redet, dass männliche Künstler die ganze Zeit Flash Vases for their Dick Flowers malen. Irgendwie war das das Erste, woran ich denken musste: Dieser Körper, der so liegt und in diese Couch reingequetscht wird … ja, reingeknickt in diese Couch.
Josephine:
Im hinteren Bild die Person liegt so entspannt, die könnte da richtig lange liegen und das finde ich im vorderen Bild nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich zwei Bilder vor mir habe: Einmal die Person vorne und einmal die Person im Spiegel. Ich frage mich die ganze Zeit, ob da zwei Botschaften drinstecken könnten, weil sie zusammengehören, aber auch wie zwei Seiten sind – einmal im Realen und einmal in der Spiegelung und es könnte auch einfach sein, dass das in der Spiegelung so gewollt und ein bisschen anders gemacht ist. Ich frage mich, wie die zusammengehören, weil es einen Bruch für mich gibt; aber ich frage mich, wie die Verbindung zwischen den beiden ist.
Claude:
Was ich mich noch frage, ist, ob man auf die vordere Person eher runterschaut und auf die andere Person eher hochschaut oder ob das einfach nur so ist, weil ich meinen Bildschirm so drapiert habe?
Panda:
Ich verstehe das mit dem Male Gaze, aber gleichzeitig finde ich, dass es auch ein respektvolles Herabschauen gibt, was mit sehr viel Konsens und Vereinbarung zu tun haben kann. Und wie groß ist die Person die malt und wie niedrig ist das Bett? Für mich wird es dann schon wieder ein bisschen lustig, wenn sich jemand auf ein Höckerchen stellt, um von oben runter zu gucken.
Icecold:
Soll das der eigentliche Bettrand sein, was über ihr ist? Und dieser rote und blaue Streifen ist im Spiegel überhaupt nicht zu sehen – man könnte sagen, dass es Zufall durch die Perspektive ist – aber dadurch sind die Farben im Zimmer im Spiegel einfach nur Grün und Blau, und dieses Blau, was da komplett rausfällt, ist sonst nur auf ihrer Haut zu finden und das ist nur in diesem anderen Zimmer. Ich habe auch den Eindruck, dass grelle Farben nicht so respectable sind, aber das ist nur meine Interpretation, und vielleicht führt es auch zu dieser Geschmeidigkeit, von der wir geredet hatten, dass da nur Gelb- und Grüntöne sind und in dem anderen gibt es dann dieses Rot und Blau, was zu der Irritation führen könnte.
Icecold:
Wenn ich zum Beispiel an meine Arbeit denke und an dieses auf dem Bauch liegen, dann glaube ich, dass es eine Position ist, in der ich nicht so gerne bin, ich möchte Leute gerne im Blick haben und wenn ich einen Spiegel habe, dann will ich sie wenigstens über den Spiegel sehen, damit ich weiß, okay, ich habe dich im Griff. Es erscheint mir eine super vulnerable Position, in der ich mich direkt angespannt fühle. Ich glaube, dass das diese Interpretation bei mir auslöst, dieser Gesichtsausdruck, wo ich denke, okay, das sieht für mich – trotz Pfeife – nicht entspannt aus, sondern eher nach einem Arbeitssetting.
Felicia:
Ich habe in meinem Leben schon eine nackte Darstellung meines Körpers erlebt, aber für medizinische Zwecke und auch in einem krass medizinischen Setting, mit einem Trans Background. Das sind die Situationen, die ich davon im Hinterkopf habe. Vor allem dann, wenn ich das Bild sehe und merke, dass diese Person, wenn sie wollen würde, keinen Rückzugsort hätte, weil der Spiegel da ist und er es unmöglich macht, die Decke nach vorne hochzuziehen, gleichzeitig liegt die Person auf der Decke und es ist nichts um sie herum. Und vielleicht ist es Teil des Dings, dass die Person das gerade nicht möchte, aber das erzeugt ein bisschen Beklemmung.
Auro:
Ja, ich arbeite in letzter Zeit auch oft mit dem Thema anal und mit dem Wechselspiel, dass der Arsch eben einerseits etwas Sexualisiertes und sehr Gegendertes ist, und andererseits eben irgendwie auch genderlos ist. Und auch, dass einerseits eben der Po, die Pobacken, alles was außen ist, oft sehr krass visible ist und dann gleichzeitig das Arschloch, das total krass tabubehaftet ist, und dass es dann auch noch mal da Unterschiede gibt. Bei hetero, nicht-hetero gender, cis gender, nicht-cis gender, cis Männern etc. Und da habe ich mit zwei cis Frauen in meinem Alter gearbeitet, und wir haben sozusagen was ausprobiert auf der Bühne. Ich war die Person, die angeleitet, also directed hat, was sie tun sollen. Und diese Verantwortung hat sich richtig krass angefühlt, für diese beiden Personen, eben zu gucken, dass es ihnen gut geht. Und sie waren eben auch nackt. Und ich habe das Gefühl, dass, sobald Nacktheit im Spiel ist, und bei Nacktheit in Kunst ist einfach auch so viel Gewicht dabei – noch dazu bei weiblich sozialisierten Personen. Und es ist eigentlich fast zu viel Verantwortung für eine Person. Wenn man damit beschäftigt ist, zu directen oder ein Foto zu machen oder zu malen, bräuchte man eigentlich noch zusätzlich eine Person, die dafür da ist … deren Aufgabe es ist, nur zu sehen, dass es den Personen, auf der Bühne oder auf dem Bild, eben dass es dieser Person gut geht. Ja.
Auro Orso, (he/They) Berlin basierter Performer und Tänzer, beschäftigt sich unter anderem mit Genderfuck und Dekolonialisierung in seiner Arbeit
Claude Förster (Claude/they) ist Tätowierer_in und Illustrator_in aus Hamburg und interessiert sich für Kunst: anschauen & herstellen, www.unterstrich.ink
Felicia (sie), 27 Jahre, Queer Aktivistin und Demokratievermittlerin
Icecold Alma (they/them), Stripper:in und Sexworker, Migrations-Biografie, liest gerne Romane, am liebsten am Meer
Josephine Ansah Valerie Deutesfeld (sie/ihr), Philosophin, liebt kreative Ästhetik im Großen und Kleinen, schreibt und liest gerne
Sandra Ortmann | Panda (sie/they), ist Dipl. Psychologin und arbeitet als Kuratorin für Bildung und Outreach im Schwulen Museum. Sie berät Museen und Kulturinstitutionen zu Fragen der diversitätsorientierten Organisationsentwicklung, Diskriminierung und Outreach