Von allen Motiven, die Menschen im Innersten bewegen und handeln lassen, gibt es kaum eins, das nicht seine Ursache im Sammeln hat. Durch das Anhäufen und Demonstrieren von Dingen unterschiedlichster Art gewinnen Menschen Orientierung, leben ihre Leidenschaft, aber auch ihre Eitelkeit und ihren Machttrieb aus.
Es gibt vermutlich kein Objekt, das nicht von irgendwelchen Menschen auf dieser Welt „gesammelt“ wird: Briefmarken, Träume, Fotos, Autos, Zitate, Lebensweisheiten, Kalender, kluge und dumme Sprüche, Zeitungsausschnitte, Geburtstage, Erinnerungsbilder, Fotos von Urlaubsreisen. Oder es werden Objekte wie Möbelstücke, wertvolle Bilder, Silberbesteck, Taschen, Fußbälle, Insekten und Kleidungsstücke angehäuft.
Von allen menschlichen Motiven gibt es kaum eins, das nicht seine zentrale Ursache im Sammeln hat. Natürlich gibt es auch krankhafte Züge des Sammelns: Jede*r kennt Menschen, die alles sammeln, Kassenbons, Plastiktüten, quasi alles, was ihnen in die Hände kommt, und die nichts wegwerfen können: das sogenannte „Messie-Syndrom“.
Externe Anreize
Oft werden Dinge gesammelt, weil man sich dadurch finanzielle, materielle Vorteile oder andere Gratifikationen verspricht, zum Beispiel langfristige existenzielle Absicherung, eine Wertanlage aufgrund des Knappheitsprinzips oder der Wertentwicklung der gesammelten Objekte. In der protestantischen Ethik beschreibt Max Weber, dass für viele Menschen das erfolgreiche Sammeln bzw. Anhäufen materieller Güter auch ein Indikator dafür war, ob sie von Gott auserwählt waren. Früher stellten Fürsten ihre Macht durch den Besitz herausragender Sammlungen von Literatur und Kunst zur Schau. Dieses Prinzip der Machtdemonstration (Dominanztrieb) ist nach wie vor ein starkes Motiv von Sammler*innen. Eitelkeit und Narzissmus spielen auch eine Rolle, wenn es gilt, die besten Briefmarken, Medaillen, Uhren zu haben und dies auch der Welt zu zeigen. Man möchte bewundert werden. Sammeln ist aber oft auch eine stark sozial geprägte Aktivität. Die besten Freund*innen und Bekannte sammeln, also beteiligt man sich und wird von der entsprechenden Gemeinschaft akzeptiert. Dort, wo Sammlungen öffentlich werden, verlieren sie ihren „egoistischen“ Charakter und werden zu etwas Gemeinnützigem.
Das Anhäufen von Dingen kann aber auch ein Zeichen von Ängsten sein, die damit kompensiert werden. Dies ist insbesondere bei Menschen der Fall, die in der Kindheit Mangelerlebnisse hatten, zum Beispiel in der Nachkriegszeit. Aber auch das Bedürfnis nach Absicherung und Kontrolle bewirkt bei vielen Menschen, dass man zum Beispiel Belege und Beweise sammelt, um nicht angreifbar zu sein.
Sammeln kann auch eine Flucht bedeuten, vor allem, wenn Menschen sich im Chaos der Realität nicht behaupten können. Man findet so eine Insel oder Nische, auf die bzw. in die man sich zurückziehen kann. Im Extremfall wird man zum einsamen Sammler, zur einsamen Sammlerin, sodass man einerseits seine Einzigartigkeit bewahren kann, vielleicht auch Bewunderung ernten kann, aber andererseits sämtliche anderen Realitäten des Lebens ausblendet.
Intrinsische Motive
Die Leidenschaft beim Sammeln kann aber auch ohne jegliche externe Anreize entstehen. Neugier und Wissensdurst sind hier die zentralen intrinsischen Motive. Diese Sammler*innen sind meist erst zufrieden, wenn sie alle „Mosaiksteinchen eines Bildes“ komplettiert haben.
Systematisches und unsystematisches Sammeln
Systematische Sammler*innen sammeln sehr selektiv. Ihr großes Ziel ist es, Ordnung zu schaffen. Bei ihnen kann weniger mehr sein. Sie wollen vor allem in die Tiefe gehen und Erkenntnisgewinne schaffen. Wissenschaftliches Sammeln oder Arbeiten zählt dazu. Unsystematische Sammler*innen sammeln dagegen aber nach dem Motto „je mehr umso besser“, auch wenn sie innerhalb einer Dimension oder eines bestimmten Objektbereichs bleibt. Sie sind nicht fähig oder nicht motiviert zu kategorisieren und zu abstrahieren.
Über den Autor
Dieter Frey ist Professor für Sozial- und Wirtschaftspsychologie an der Universität München, Leiter des LMU Centers for Leadership & People Management, Akademischer Leiter der Bayerischen EliteAkademie und Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.