Kontexte: Eine kritische Betrachtung von Otto Muellers „Z***“-Mappe

Valentina Bay / Dr. Anna Mirga-Kruszelnicka
Wissenschaftliche Projektmitarbeiterin Brücke-Museum / Stellvertretende Direktorin Europäisches Roma-Institut für Kunst und Kultur (ERIAC)

Blättert man durch das Werkverzeichnis Otto Muellers, begegnen einem überwiegend Darstellungen von Akten, Badenden und Porträts, darunter eine Reihe von Zeichnungen, Gemälden und Druckgrafiken mit Motiven aus dem Kontext der Rom*nja-Minderheit 1, die ab 1924 im Rahmen mehrerer Reisen nach Osteuropa und auf den Balkan entstanden. Die Titel dieser Werke beinhalten den Begriff „Z***“, der heute als problematisch betrachtet wird, da es sich hierbei um eine vorurteilsbehaftete Fremdzuschreibung der Nicht-Rom*nja-Gesellschaft handelt.

Zentral ist die Auseinandersetzung mit diesem Motivkreis in der Grafikmappe Z***/Otto Mueller aus dem Jahr 1927, von der sich ein Exemplar in der Sammlung des Brücke-Museums befindet. Anlässlich der Ausstellung Sivdem Amenge. I sewed for us. / Ich nähte für uns. mit Werken von Małgorzata Mirga-Tas, einer polnischen Künstlerin und Romni, richtet das Brücke-Museum nun einen Blick aus heutiger Perspektive auf diese vor rund 100 Jahren entstandene Arbeit von Otto Mueller. Wie stellte der Künstler die Bevölkerung der Rom*nja dar und inwiefern entsprachen seine Werke tradierten, rassistischen Bildern, die bis in die Gegenwart reichen? Als bekannter deutscher Künstler hat Otto Mueller wiederum die Sichtweise der damaligen Mehrheitsgesellschaft auf die Rom*nja nachhaltig beeinflusst. Zweifellos trugen seine Arbeiten zur Formung und Aufrechterhaltung eines zutiefst antiziganistischen Bilds der Rom*nja bei. Eine Reevaluierung sowie kritische Auseinandersetzung mit dem Künstler, seinem Œuvre und dessen Nachwirkung erscheint insofern nicht nur zeitgemäß, sondern aus ethischer Perspektive gleichsam notwendig.

Die neun Farblithografien der sogenannten „Z***“-Mappe basieren auf Zeichnungen und nicht erhaltenen Fotografien, die der Künstler zwischen 1925 und 1927 während mehrerer Sommeraufenthalte in Ungarn und auf dem Balkan von Rom*nja anfertigte. In seinem Atelier in Breslau, wo er seit 1919 als Professor an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe tätig war, verarbeitete er seine Eindrücke in Gemälden und Grafiken. 2 Die Blätter zeigen hauptsächlich Frauen mit schwarzen Haaren und markanten Gesichtszügen, meist sind sie halb nackt. Neben einzelnen Kinderdarstellungen scheint Muellers Interesse überwiegend weiblichen Personen gegolten zu haben – Männer tauchen bei ihm nur in familiären Kontexten auf. Mit Ausnahme von Zwei Z***mädchen im Wohnraum sind alle Figuren unter freiem Himmel dargestellt, ob in der Natur, vor bäuerlichen Wohnhäusern oder einem Planwagen.

Die stigmatisierenden Fremdbilder über Rom*nja

Muellers Arbeiten stehen exemplarisch für die gesamteuropäische Tradition der Bild- und Wissensproduktion über das Leben der Rom*nja, die von einer stark antiziganistischen Sicht auf diese marginalisierte Gruppe zeugt. Die Vorfahren der heutigen Rom*nja gelangten im 12. Jahrhundert aufgrund von Kriegen, Verfolgung und Vertreibung aus ihrem ursprünglichen Gebiet des heutigen Pakistans über Persien, Kleinasien und den Kaukasus nach Europa. Seit ihrer Ankunft im Südosten des Kontinents wurde in Kunst, Kultur und insbesondere in den Wissenschaften über die Jahrhunderte hinweg ein in mehrfacher Form rassistisches Bild der Rom*nja-Bevölkerung geprägt. Durch stereotype Darstellungen, vorurteilsbehaftete Schriften und verklärende Erzählungen, fast ausschließlich aus der Hand von Nicht-Rom*nja, hat sich ein in mehrfacher Form stigmatisierendes Fremdbild im kollektiven Bewusstsein der europäischen Mehrheitsgesellschaft verfestigt, das bis in die Gegenwart nachhallt: Da ist zum einen das zutiefst negative Klischee als arme Bettler*innen, Betrüger*innen und Dieb*innen, dargestellt gemeinhin als schmutzige, hässliche und kulturell rückständige Personen, die nicht in der Lage sind, gesellschaftlichen Normen zu folgen. Gleichzeitig existiert das stark romantisierte Bild der freiheitsliebenden und geheimnisvollen Nomad*innen, geschickten Musiker*innen und Schausteller*innen, die im Gruppenverbund eng mit der Natur verbunden leben und über magisches Wissen und Kräfte verfügen. In diesem Fall werden die Körper der Rom*nja fetischisiert, häufig sogar sexualisiert.

Dies drückt sich insbesondere im Hinblick auf die Frauen aus, wobei es sich hierbei gar um eine doppelte, intersektionale Diskriminierung, nämlich aufgrund ihrer Minderheiten- sowie ihrer Geschlechterzugehörigkeit, handelt. Die Ikonografie von Romnia-Darstellungen ist dementsprechend sowohl zutiefst von rassistischen als auch von patriarchalischen Blicken geprägt: Seit dem Mittelalter bis in die heutige Zeit werden sie typischerweise entweder als „Z***“-Hexe oder als hypersexualisierter Archetyp, etwa wie die Figur der Carmen in der gleichnamigen Novelle und Oper, dargestellt. Selbst in Darstellungen als stillende Mutter werden Romnia mittels erotisierender Posen zum Objekt männlicher Begierde degradiert.

Geprägt durch den Blick von außen, haben beide Stereotype ein wesentliches Merkmal gemein: Sie stellen die Rom*nja als eine Gruppe exotisch anderer dar, die sich von Natur aus grundsätzlich, für immer und unversöhnlich von der Bevölkerung der Nicht-Rom*nja unterscheidet. Solche antiziganistischen Darstellungen sind als eine Form symbolischer Gewalt zu verstehen und haben über Jahrhunderte hinweg grundlegend zur Ermöglichung und Legitimation der Rom*nja-Verfolgung auf der ganzen Welt beigetragen. Dass Bilder wie diese in der Gegenwart fortbestehen und anhaltende Popularität erfahren, resultiert zugleich aus dem Fehlen korrigierender Gegenbilder in der öffentlichen Wahrnehmung durch die Rom*nja selbst. Bis heute sind diese weiterhin selten. 3

Muellers Verwendung tradierter antiziganistischer Motive

Eine romantisierte Vorstellung der Rom*nja-Lebensweise gewinnt am Beginn des 20. Jahrhundert nachweislich an Popularität und zieht eine wachsende Faszination nach sich. Die fortschreitende Industrialisierung und Verstädterung rief vielfach den Wunsch nach alternativen Lebensformen wach. Die Darstellung des einfachen Lebens der Rom*nja als zivilisationsfern-idealisierter Sehnsuchtsort löste die bis dahin populärsten Bildinhalte als Dieb*innen und Wahrsager*innen, etwa bei Caravaggio oder Georges de La Tour, als Hauptmotiv ab. Muellers „Z***“-Mappe steht exemplarisch für diese Entwicklung. 4 Der Künstler selbst hatte dabei wohl kein großes Interesse an einer realistischen Wiedergabe der Rom*nja, stattdessen setzte er die tradierten Inszenierungsmuster fort. So illustrieren die Einfachheit der Häuser und Kleidung seiner Figuren deren Armut, in ihrer Darstellung unter freiem Himmel drückt sich eine verklärte Naturverbundenheit aus. Mit dem Motiv des Planwagens als Symbol des vermeintlich charakteristischen Nomad*innentums bedient sich der Künstler eines bildlichen Standardvokabulars. Schon in dem Radierzyklus La vie des égyptiens (Das Leben der Ägypter) des französischen Grafikers Jacques Callots, entstanden 1621 bis 1631, einer der ältesten bekannten, mit Stereotypen gespickten Rom*nja-Illustrationen, ist das Wagenmotiv präsent. 5 Die Häuser in Muellers Arbeiten legen zudem nahe, dass er auf seinen Reisen auch sesshafte Rom*nja getroffen hat. Zwar dürfen diese Darstellungen ebenfalls nicht als faktische, realitätsgetreue Wiedergabe betrachtet werden, da sie gesellschaftspolitische Ausgrenzungsmechanismen ignorieren, doch sie greifen Aspekte der Realität auf. Denn Armut und prekäre Wohnverhältnisse waren fraglos Bestandteil des Alltags vieler Rom*nja. Ihre Not und Lebensbedingungen, egal ob als Nomad*innen oder sesshafte Gemeinschaften, erweisen sich als direkte Folge von historischen und zeitgenössischen Rom*nja-feindlichen Gesetzen und sozialer Ausgrenzung – einschließlich ihrer mehrere Jahrhunderte andauernden Versklavung in den Gebieten des heutigen Rumäniens oder der von Maria Theresia von Österreich durchgeführten Zwangsassimilierung und Siedlungspolitik. 6

Wie sehr sich Mueller für die Umsetzung seiner künstlerischen Vorstellungen an der Lebenswelt der Minderheit bediente, offenbart sich vor allem in seiner Darstellung von Frauen: Sie zeigte er meist exotisiert und sexualisiert, indem er sie nackt oder halb nackt, lediglich bekleidet mit traditionellen langen Röcken oder tief ausgeschnittenen Blusen inszenierte. Anzumerken ist, dass die Darstellung von nackten Frauen in Muellers Œuvre als nichts Ungewöhnliches gelten muss; motivisch dominiert der Akt in der Landschaft. Ebenso wie für seine ehemaligen Kollegen der Künstlergruppe Brücke drückte sich für Mueller im Motiv des nackten Körpers in der Natur Reinheit aus – in diesem Zustand, so Mueller, könne der Mensch eine Einheit mit seiner ursprünglichen Umwelt bilden, zu der er durch die westliche Zivilisation den Kontakt verloren habe. Im frappanten Gegensatz dazu gilt öffentliche Nacktheit innerhalb der Rom*nja-Kultur als Tabu. Rom*nja würden niemals unbekleidet für einen Maler posieren. Insofern wurden insbesondere die halb nackten Körper der Romni in Muellers Arbeiten eindeutig zum Objekt eines (männlichen) Voyeurismus − sie wurden erotisiert, fetischisiert und exotisiert. Das motivische Aufgreifen der traditionellen langen Röcke diente insofern vor allem der ethnischen Markierung und zeugt wenig von Respekt, kultureller Sensibilität und Achtung gegenüber der Minderheit.

Muellers Interesse an den Rom*nja

Eine genaue Erklärung, weshalb die Rom*nja Mueller so faszinierten, dass er ihre Siedlungen in Osteuropa zum Zeichnen und Fotografieren mehrere Jahre nacheinander aufsuchte, bleibt aufgrund fehlender Informationen und Aussagen des Künstlers eine Leerstelle. Lange Zeit wurde die Einordnung seiner Arbeiten zudem durch den Mythos Muellers als „Z***“-Maler überschattet. Mit seinem fiktiven Roman Habakuk, vor allem jedoch mit Einhart der Lächler brachte sein Cousin, der Schriftsteller Carl Hauptmann, 1907 das Gerücht in Umlauf, Otto Mueller habe selbst Rom*nja-Vorfahren, was sein „dunkles“ Aussehen begründen würde. In zeitgenössischen Schriften fand diese Erzählung zunächst keinen Widerhall, doch wurde sie nach dem Tod des Künstlers 1930 wieder als Beweggrund für Muellers Beschäftigung mit der Minderheit aufgegriffen. Die nachträgliche, das heißt nicht vom Künstler vergebene Betitelung vieler seiner frühen Werke mit dem rassistischen „Z***“-Wort sind Resultat dieser Fremdzuschreibung.

Nachweislich Eingang in Muellers Werk fand die Lebenswelt der Rom*nja erstmals infolge seiner Stationierung während des Ersten Weltkriegs in Russland, wo er mit einer Gruppe der Minderheit in Kontakt kam. Danach tauchte ihre Kultur vorerst nur im Rahmen seines Interesses am Okkultismus in verschiedenen Porträts auf, für die er sich traditioneller magischer Treue- und Liebesamulette bediente. Damals war Mueller zum Professor für Aktmalerei an der Breslauer Kunstakademie berufen worden. Das damit verbundene geordnete Leben muss ihm zuwidergelaufen sein, dem Bürgertum fühlte er sich nie verbunden. Stattdessen sehnte er sich nach einem einfachen glücklichen Leben abseits gesellschaftlicher Konventionen und sympathisierte mit einer verklärt-idealisierten Idee der Boheme als unangepasstem und unkonventionellem Lebensstil. Dies war in den Kunstkreisen jener Zeit besonders populär und galt als vermeintlich inspiriert von den herrschenden erotisierten und romantisierten Vorstellungen über das Leben der Rom*nja. Muellers Reisen nach Osteuropa und auf den Balkan sind durchaus vor diesem Hintergrund zu betrachten.

Tatsächlich stellen seine Aufenthalte in den genannten Regionen keine Ausnahme dar, sondern er reiht sich damit in eine Liste von Künstler*innen und Fotograf*innen ein, die sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert motivisch am Leben der dortigen Rom*nja-Bevölkerung bedienten. Insbesondere das ungarische Szolnok entwickelte sich zu einer regelrechten Pilgerstadt für das Zeichnen der Minderheit. Neben Mueller waren es vor allem österreichische Künstler wie August von Pettenkofen, Leopold Carl Müller und Gualbert Raffalt, die hier Motive für sich fanden und in verklärenden Genrebildern auf die Leinwand brachten. Ihr Interesse stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Aufkommen der Ethnografie sowie der Popularität folkloristischer Fotografie durch Nicht-Rom*nja in diesen Gegenden ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie griffen bestehende stereotype Inszenierungen auf und der vermeintliche Wahrheitsgehalt des Mediums Fotografie spitzte Klischees weiter zu. Als beliebte Postkartenmotive trugen solche Darstellungen europaweit stark zur enormen Verfestigung bisheriger Fremdbilder bei und beförderten die exotisierende Faszination für diese Minderheit. 7 Die innereuropäische Suche nach fremden Orten und Völkern ist durchaus in geistiger Verwandtschaft mit den Reisen vieler Künstler wie Muellers Brücke-Kollege Emil Nolde oder des französischen Malers Paul Gauguin in überseeische Kolonien zu sehen. Beide sind Ausdruck ähnlich ethisch fragwürdiger Haltungen, sozialer sowie wirtschaftlicher Ausbeutung, sexueller Gewalt, rassischer Dominanz und Überlegenheit.

Muellers Rom*nja-Darstellungen im Kontext des Nationalsozialismus

Man mag dazu verleitet sein, Muellers Faszination für die Rom*nja als wohlwollend anzusehen. Doch als Teil der europäischen Mehrheitsgesellschaft war er genau wie seine Kunst – wenngleich unbewusst – durch den damaligen Zeitgeist beeinflusst. Der Künstler beschäftigte sich zu einer Zeit mit dieser Minderheit, in der pseudowissenschaftliche Theorien des biologischen Determinismus als Vorboten der späteren Eugenik aufblühten und die öffentliche Politik und Wahrnehmung prägten. Lange vor dem Nationalsozialismus begann eine staatlich geförderte Verfolgung der Rom*nja durch deutsche Behörden. Bereits im späten 19. Jahrhundert wurden Institutionen und Gesetze eingeführt, welche die Rom*nja schrittweise ihrer Rechte und Freiheiten beraubten. Kunst und Kultur spielten bei der Propagierung und Legitimierung der Verfolgung dieser Minderheit generell eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Rom*nja-Kunsthistorikerin Timea Junghaus und Romni-Künstlerin Delaine Le Bas fassen treffend zusammen:

„Im Fall des Völkermords an den Roma war auch der Einsatz visueller Demütigung durch das Naziregime ein Teil dessen, was diesen möglich machte, – spöttische Karikaturen, welche die Roma lächerlich machten und dämonisierten, um die öffentliche Empathie für sie zu untergraben. […] Die visuelle Demütigung war ein zentraler Bestandteil der NS-Propagandamaschine und legte den Grundstein für die Zerstörung des ‚Anderen‘.“8

So lassen sich die Stereotype, die Muellers Arbeiten wiedergeben, kurz darauf ebenso in der rassistischen Ideologie der Nationalsozialist*innen wiederfinden, wo sie dazu dienten, die schrittweise Entrechtung, Verfolgung und spätere Ermordung der europäischen Rom*nja zu legitimieren. Der scheinbare Widerspruch im Fall von Mueller besteht darin, dass genau diese Arbeiten kurz darauf von der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst“ betroffen waren. Die „Z***“-Motive waren der Hauptgrund, weshalb 1937 mehrere Hundert Werke des Künstlers aus öffentlichen Institutionen entfernt und auf der gleichnamigen Propagandaausstellung präsentiert worden waren. 9 Diese posthume Diffamierung Muellers als „entarteter“ Künstler durch den Nationalsozialismus bestimmt bis heute sein Narrativ. Angesichts des nationalsozialistischen Völkermords an rund 500.000 europäischen Rom*nja hüllt dieser Umstand Muellers Werke, die selbst rassistische Denkmuster reproduzieren, in eine vermeintliche, jedoch falsche Unschuld. Denn nichtsdestotrotz bleiben sie Ausdruck eines stigmatisierenden konstruierten Fremdbilds und desselben Rassismus, der zur Verfolgung und späteren Ermordung der Rom*nja beigetragen hat – und der bis heute besteht. So beurteilt der Zentralrat der Sinti und Roma:

„Otto Mueller, dessen Bilder wir sehr schätzen und gleichzeitig immer wieder auch kontrovers diskutieren, hat immer wieder ‚Z***‘ gemalt, also die Konstruktion einer Gestalt, die für ihn ein möglicherweise rebellisches Ideal dargestellt hat, auf jeden Fall eine Konstruktion – aber eben nicht ‚Romni‘ [sic], also die tatsächlich lebenden Menschen.“ 10

Stellungnahme des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zu Otto Mueller im November 2019 anlässlich der Ausstellung Bild und Gegenbild. Zur Revision der Sammlung im Museum Ludwig, Köln, 2020

Valentina Bay ist Kunsthistorikerin. Als wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Brücke-Museum in Berlin hat sie die Vorbereitungen für die dortige Ausstellung Małgorzata Mirga-Tas. Sivdem Amenge. Ich nähte für uns. I sewed for us. unterstützt.

Dr. Anna Mirga-Kruszelnicka ist Anthropologin, Wissenschaftlerin, Autorin und Rom*nja-Aktivistin. Seit 2018 ist sie stellvertretende Direktorin des Europäischen Roma-Instituts für Kunst und Kultur (ERIAC) in Berlin.

  • 1
    Der Text verwendet den Ausdruck Roma; basierend auf Romani bedeutet Rom (Singular) Mann oder Mensch, Roma ist die Pluralform. Die Bezeichnung umfasst alle Gruppen der europäischen Minderheit, die das Roma-Erbe teilen. Die Verwendung von Rom*nja ist Teil des Prozesses der Verwendung einer inklusiven, nicht geschlechterspezifischen Schreibweise. Der Begriff Sinti*zze ist die Selbstbezeichnung einer in Deutschland und einer Reihe anderer deutschsprachiger Gebiete ansässigen Rom*nja-Untergruppe. Der Begriff „Z***“ gilt heute als rassistische, vorurteilsbehaftete und pejorative Fremdbezeichnung, die von der Nicht-Rom*nja-Mehrheit für die Rom*nja entwickelt wurde. Der Text verwendet dieses Wort ausschließlich für die von Mueller selbst damit bezeichneten Arbeiten und dort, wo es dazu dient, die Bevölkerung der Rom*nja von den konstruierten Stereotypen zu unterscheiden. Aus Respekt vor den Rom*nja und um die Verwendung dieses Wortes in der Öffentlichkeit zu vermeiden, hat sich das Kuratorinnenteam für die selbstzensierte Schreibweise „Z***“ entschieden, um die Besucher*innen darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Wort unangemessen und problematisch ist.
  • 2
    Die Informationen zu Muellers künstlerischer Auseinandersetzung mit den Rom*nja basieren auf den umfangreichen Recherchen Tanja Pirsig-Marshalls, für deren Hinweise wir uns herzlich bedanken. Vgl. Tanja Pirsig, „Otto Mueller. Mythos und Wahrheit“, in: Johann Georg Prinz von Hohenzollern (Hg.), Otto Mueller. Eine Retrospektive, Ausst.-Kat., Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München 2003, S. 124−132; Tanja Pirsig-Marshall, „Otto Mueller. Mythos und Wahrheit“, in: Nicole Fritz (Hg.), Otto Mueller – Gegenwelten. Sinti und Roma in der historischen Fotografie, Ausst.-Kat., Kunstmuseum Ravensburg, Ravensburg 2014−2015, Berlin/Heidelberg 2014, S. 12−29.
  • 3
    Vgl. Karola Fings, Sinti und Roma. Geschichte einer Minderheit, München 2019. Weiterführend vgl. Klaus-Michael Bogdal, Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung, Berlin 2014.
  • 4
    Peter Bell, „Z*** Otto Mueller. Ein Rollenspiel“, in: Dagmar Schmengler (Hg.), Maler. Mentor. Magier. Otto Mueller und sein Netzwerk in Breslau, Ausst.-Kat., Neue Galerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin 2018−2019, Berlin/Heidelberg 2018, S. 107−113.
  • 5
    Die Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas greift in ihrer fünfteiligen Serie Out of Egypt (2021) Callots Drucke auf.
  • 6
    Die bisherige Einordnung von Muellers Darstellungen zeugt davon, wie wenig der kunsthistorischen Forschung über die jeweiligen Rom*nja-Gruppen, die der Künstler während seiner Reisen aufsuchte, ihre genauen Lebensumstände und Traditionen bekannt ist. Muellers Motive sind vor allem als Vermischung der Eindrücke mehrerer Reisen und vor allem seiner projizierten Vorstellungen zu bewerten. Wie sehr sich der Künstler tatsächlich mit den Konventionen und Traditionen der Rom*nja, die er zeichnete, auskannte und wie eng er den persönlichen Kontakt suchte, darüber ist aufgrund fehlender gesicherter Belege kaum etwas überliefert.
  • 7
    Vgl. Uwe Schögl, „Sinti und Roma in der historischen Fotografie“, in: Ausst.-Kat. Ravensburg 2014 (wie Anm. 2), S. 30−50.
  • 8
    Timea Junghaus u. Delaine Le Bas, Europe’s Roma Struggle to Reclaim Their Arts Scene, in: Open Society Foundation, 15. Juli 2015, URL: https://www.opensocietyfoundations.org/voices/europe-s-roma-struggle-reclaim-their-arts-scene (22. Juni, 2023).
  • 9
    Vgl. Stephanie Barron, „Entartete Kunst“. Das Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland, Ausst.-Kat., Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles 1991, Deutsches Historisches Museum, Altes Museum, Berlin 1992, München 1992, S. 307−310.
  • 10
    Auf Wunsch von Herbert Heuss, ehemaligem Mitglied des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, wird die Originalschreibweise der Stellungnahme wiedergegeben. Wir danken Herbert Heuss und Julia Friedrich, Kuratorin der Ausstellung im Museum Ludwig in Köln, für die Genehmigung zur Verwendung des Zitats.