Zur Situation der Brücke-Künstler im Nationalsozialismus

Aya Soika
Professorin für Kunstgeschichte / Bard College Berlin

Zu Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hatten die Brücke-Maler durchaus Chancen auf Anerkennung im neuen Regime. Unter ihren Befürwortern waren zahlreiche national-konservativ eingestellte Personen, die schon in den Jahren der Weimarer Republik die expressionistische Kunst als angeblich genuin deutsche Alternative zum französisch inspirierten Impressionismus vorgeschlagen hatten und Bezüge zur deutschen Gotik und Romantik bemühten. Insbesondere Emil Nolde, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff standen im Sommer 1933 im Mittelpunkt einer erhitzten Debatte, in der es um die Rolle eines „nordischen Expressionismus“ im neuen Staat ging. Dass die in Deutschland ansässigen Brücke-Maler alle in die neu gegründete Reichskammer der bildenden Künste aufgenommen und einige von ihnen am 15. November 1933 gar zur feierlichen Eröffnung der von Propagandaminister Joseph Goebbels neu konzipierten Dachorganisation, der Reichskulturkammer, eingeladen wurden, verstanden sie zunächst als positives Signal. Angesichts der ungeklärten Lage wird vielleicht eher nachvollziehbar, warum Heckel und Nolde sich bereit erklärten, den von einem Mitarbeiter Goebbels’ formulierten „Aufruf der Kulturschaffenden“ zur Bestätigung Adolf Hitlers als Staatsoberhaupt zu unterzeichnen, der am 18. August 1934 im Völkischen Beobachter abgedruckt wurde. Im Laufe der folgenden Jahre kristallisierte sich jedoch heraus, dass es höchstens um eine Duldung ihrer künstlerischen Positionen ging, und dass die neu geschaffenen Strukturen den Aktionsradius und die beruflichen Freiheiten der Künstler vor allem einschränkten. Solange es einen festen Stamm von Unterstützern gab, die oft persönlich mit den Künstlern bekannt waren, war das finanzielle Auskommen trotz eingeschränkter oder gar eingestellter Ausstellungstätigkeit – teilweise sogar wie in Noldes Fall trotz Berufsverbot – gewährleistet. Waren die Sammler jedoch, wie besonders in Max Pechsteins Fall, zur Emigration gezwungen wurden, schlug sich dies auch in der Einkommenssituation der Künstler nieder, die individuell ganz unterschiedlich war.

Eine Zäsur in der Präsentation aktueller Werke – auf Ausstellungen in Galerien, Kunstvereinen und vereinzelt auch in Museen waren in erster Linie Landschaften der letzten Jahre zu sehen – stellte die für die Künstler überraschende Eröffnung der Ausstellung Entartete Kunst im Juli 1937 in München dar. Schon zuvor hatte es auf lokaler Ebene Femeschauen gegeben, aber jetzt stand die Reichsregierung hinter der Organisation und ließ die Kunstwerke durch polemische Kommentare auf den Stellwänden, im Ausstellungsführer und in der begleitenden Berichterstattung verhöhnen. Es folgten weitere Entfernungen der Werke aus öffentlichen Sammlungen und die Veräußerung ihrer Kunst über eine Abteilung im Propagandaministerium bzw. die damit eigens beauftragten Händler, in einigen Fällen auch die Zerstörung von Werken.

Während Max Pechstein im Mai 1939 in Berlin eine Einzelausstellung veranstalten konnte, als erster der ‚entarteten‘ Künstler, wie er selbst stolz feststellte, wurden Karl Schmidt-Rottluff sowie Emil Nolde im April bzw. im August 1941 aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen, eine Maßnahme, die mit einem Ausstellungs- und Verkaufsverbot einherging. Rückblickend wirft die Entscheidung, wer verbleiben durfte und wer nicht, eine Reihe von Fragen auf. So behielt Pechstein seine Mitgliedschaft, obwohl die NSDAP-Gauleitung ihm im Rahmen der Eignungsprüfung ein vernichtendes Gutachten ausstellte. Nolde dagegen wurde (inoffiziell aufgrund zu hoher Einnahmen, offiziell aufgrund künstlerischer Unzuverlässigkeit) ausgeschlossen, obwohl er ein hervorragendes Parteizeugnis erhielt.

Maßregelungen und Repressalien von staatlicher Seite waren insgesamt gesehen jedoch nur ein Faktor, wenn auch ein ganz entscheidender, der die künstlerische Tätigkeit der Brücke-Maler in den Jahren des Nationalsozialismus erschwerte und dadurch auch ihre wirtschaftliche Existenz bedrohte. Die zeithistorischen Rahmenbedingungen veränderten sich mit dem Beginn der alliierten Bombardierungen ab 1942 nochmals radikal im Vergleich zu den ersten Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Schon zuvor hatte die Sorge um eine mögliche Vernichtung ihrer künstlerischen Arbeiten dazu geführt, dass die Maler Werke bei Bekannten in Sicherheit brachten. Ab dem Jahr 1943 kam es dann mit der flächendeckenden Bombardierung Berlins auch zur Zerstörung der Wohnungen und Ateliers von Heckel, Nolde, Pechstein und Schmidt-Rottluff, und damit zur Übersiedlung der Künstler aufs Land. In den letzten Kriegsjahren machten sich für einen Künstler wie Pechstein, der in der Reichskammer der bildenden Künste verbleiben durfte, die Vorteile seiner Mitgliedschaft daher kaum noch bemerkbar. Theoretisch hatte er das Recht, auszustellen, doch fanden im Laufe des Zweiten Weltkriegs keine größeren Ausstellungen seiner Werke mehr statt. Theoretisch stand es ihm zu, kontingentierte Künstlermaterialien zu beantragen. Seine Korrespondenz mit der Reichskammer der bildenden Künste belegt jedoch, dass viele der erbetenen Materialien ab 1943 – trotz vorhandener Bezugsscheine – nicht mehr lieferbar waren. Wie die Künstler in diesen letzten Kriegsjahren ihre Existenz sicherten war individuell sehr unterschiedlich, die Handlungsspielräume waren dabei weniger von den offiziellen Maßgaben abhängig als von ihren persönlichen Verbindungen.

Aya Soika ist Professorin für Kunstgeschichte am Bard College Berlin. Sie war zuletzt Ko-Kuratorin der Ausstellung Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus (mit Meike Hoffmann und Lisa Marei Schmidt, Brücke-Museum und Kunsthaus Dahlem, Berlin 2019) sowie der Ausstellung Emil Nolde – eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus (mit Bernhard Fulda und Christian Ring, Nationalgalerie Staatliche Museen zu Berlin, 2019).

Der vorliegende Ausschnitt basiert auf dem Text Handlungsspielräume: Zwischen Anerkennung und Verfemung, in: Meike Hoffmann, Lisa Marei Schmidt und Aya Soika (Hg.), Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus, Ausst.-Kat. Brücke-Museum Berlin, Hirmer-Verlag, München 2019, S. 19–37.