Der Kunsthändler Victor Wallerstein
Dr. Nadine Bauer
Provenienzforscherin am Brücke-Museum
Frühe Jahre bis 1919
Victor Wallerstein wurde am 21. April 1878 – als drittes von sechs Kindern – in eine musikalisch geprägte jüdische Familie in Prag geboren. Sein Vater leitete eine Musikschule und war Oberkantor an der Prager Maisel-Synagoge. Nach ersten beruflichen Schritten im Handschuhexportgeschäft seines Onkels, befasste sich Victor Wallerstein zwischen 1902 und 1905 mit Fotografie und ließ sich bei einem Berufsfotografen in München weiterbilden.1 1903 heiratete er Vera von Goldberg (1876–1956). Das Ehepaar hatte zwei Kinder, den Sohn Franz (1904–1987) und die Tochter Brigitta (1910–2008, genannt Gitta, verheiratete Perl).
Früh galt Victor Wallersteins Interesse der Bildenden Kunst und so studierte er ab 1908 Kunstgeschichte und Philosophie in Basel. Ein Jahr später veröffentlichte er seine Doktorarbeit zur nördlichen Renaissance mit dem Titel Die Raumbehandlung in der Oberdeutschen und Niederländischen Tafelmalerei der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts.
1911 war Victor Wallerstein Volontär am Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bode-Museum) in Berlin und ab 1917 für die renommierte Berliner Kunsthandlung von Paul Cassirer tätig. Als Kunsthistoriker verfasste er eine Reihe von Artikeln zur zeitgenössischen Kunst, etwa ab 1915 in den Sozialistischen Monatsheften und ab 1917 in Das Kunstblatt.
Die Galerie Goldschmidt-Wallerstein und ihre Künstler*innen
Ende 1919 gründete Wallerstein gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Dr. Fritz Goldschmidt (1886–1935) eine Galerie, zunächst in Räumen am Schöneberger Ufer 36a und ab 1928 in der Viktoriastraße 21. Die Galerie Goldschmidt-Wallerstein befand sich in direkter Nachbarschaft zu anderen Kunsthändlern, wie Leo Blumenreich, einem engen Freund. Lag der Verkaufsschwerpunkt zunächst auf der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts, vermittelte die Galerie Goldschmidt-Wallerstein ab 1921 auch zeitgenössische Kunst. Dazu wurde eigens eine „Moderne Abteilung“ gegründete, in der u.a. Werke der Brücke-Künstler präsentiert wurden – von Erich Heckel und Otto Mueller bei der Eröffnungsausstellung. In Einzelausstellungen wurden außerdem Werke von Wassily Kandinsky (1922), Paul Klee (1923), Oskar Kokoschka (1924) oder Lyonel Feininger (1925) gezeigt.2
Wallersteins Verbindung zu den Brücke-Künstlern und seine Privatsammlung
Bereits vor seiner Zeit als Kunsthändler pflegte Wallerstein persönliche Kontakte zu Künstler*innen wie Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel. Die Beziehung zu Heckel lässt sich verschiedentlich ablesen. Der Künstler porträtierte Wallerstein mindestens zwei Mal: 1912 in einer Bleistiftstudie, die zur Sammlung des Brücke-Museums gehört und ein Jahr später in einem Gemälde, das als zerstört gilt. Bemerkenswerterweise porträtierte Victor Wallerstein Jahre später aber auch Heckel fotografisch. Auch Ernst Ludwig Kircher kannte Wallerstein bereits Anfang der 1910er-Jahre. So erhielt er 1913 postalische Urlaubsgrüße des Künstlers aus Fehmarn. Bereits früh begann Victor Wallerstein mit dem Aufbau einer privaten Sammlung mit zeitgenössischer Kunst, mit Werken von Oskar Kokoschka, Bela Czobel, Otto Mueller, Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel.
NS-Zeit und Verfolgung (1933–1936)
Die massiven antisemitischen Maßnahmen der Nationalsozialist*innen zwangen Wallerstein und Goldschmidt dazu die Galerie 1934 zu schließen. 1936 wurde das Unternehmen liquidiert. Zudem wurde Wallerstein 1935 aus der Reichskammer der bildenden Künste, in der ab 1933 auch Kunsthändler*innen erfasst waren, ausgeschlossen.
Flucht und Leben in Italien (1936–1944)
Im September 1936 flüchtete Wallerstein nach Italien. Gemeinsam mit seiner Frau Vera wohnte er zunächst in Ronchi bei Marina di Massa und ab November 1937 in Florenz. Dort lebte das Ehepaar in prekären Lebensverhältnissen. Neben der andauernden Gefahr einer nationalsozialistischen Verfolgung waren sie zusätzlich den antisemitischen Rassengesetzen der faschistischen Regierung Italiens ausgesetzt. Wie in Deutschland ab 1933 wurden 1938 auch im faschistischen Italien Gesetze als Legitimationsgrundlage für die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung erlassen. Nach dem Kriegsaustritt Italiens am 8. September 1943 und der deutschen Besetzung des Landes verschlimmerte sich die Situation weiterhin. Im Sommer 1943 wurde Victor Wallerstein wegen seiner angeblichen Anti-Nazi-Haltung denunziert. Aus der Not heraus war Wallerstein gezwungen einige der Kunstwerke, die er aus Berlin retten konnte zu verkaufen, darunter das Gemälde Erich Heckel und Otto Mueller beim Schach, das sich heute im Brücke-Museum befindet.
Während der letzten Lebensjahre Victors umgaben sich die Wallersteins mit wenigen Freund*innen aus ihrer Berliner Zeit, wie der Bildhauerin Emy Roeder (1890–1971) und dem Maler Rudolf Levy (1875–1944). Emy Roeder und Wallerstein kannten sich spätestens seit Roeders erster Einzelausstellung 1922 in der Galerie Goldschmidt-Wallerstein. Posthum nannte sie Wallerstein „diesen besten Freund, den das Leben mir gab“.3 Rudolf Levy wurde im Dezember 1943 von der Gestapo in Florenz verhaftet, anschließend deportiert und ermordet. Kurz zuvor hatte er noch Wallersteins letztes Porträt in einem Gemälde festgehalten. Am 23. Juli 1944 starb Victor Wallerstein mit 66 nach Verhaftungen und Verhören durch die SS in einem Krankenhaus in Florenz.
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1Siehe die Memoiren seines Bruders Konrad Wallerstein: Konrad Wallerstein, „Meine Lebenserinnerungen: Ein Familienbild” (1942), S. 29–31, https://rosdok.uni-rostock.de/file/rosdok_document_0000010630/rosdok_derivate_0000037742/Wallerstein_Erinnerungen1942_2017.pdf (21.8.2024)
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2Berlinische Galerie, Kunstarchiv Werner J. Schweiger, WJS KK 35 (1/2). Das Karteikartenkonvolut Goldschmidt-Wallerstein enthält u.a. eine Zusammenstellung von Erwähnungen der Kunsthandlung in Kunstzeitschriften und Werbung. Ausstellungskataloge folgender Ausstellung der „Modernen Abteilung“ sind uns bisher bekannt: Oskar Kokoschka (1924), Lyonel Feininger (1925), Curt Echtermeyer (1927), Verkaufsausstellung einer Berliner Privatsammlung (1927).
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3Emy Roeder an Hans Purrmann, 19.10.1944, Hans Purrmann Archiv, München, Nr. 1345.