Symposium, Digital

Expressionism Revisited
Sektion I: Global Contexts (EN)

Dieses Panel widmet sich der Verbreitung, Rezeption und Transformation des deutschen Expressionismus an der europäischen Peripherie und außerhalb Europas. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den intellektuellen Ideen und künstlerischen Konzepten, die mit dem Expressionismus assoziiert und in modernistischen und zeitgenössischen westlichen und nicht-westlichen Kunstpraktiken aufgegriffen worden sind.

Mit der Untersuchung der Ausbreitung des Expressionismus in verschiedenen lokalen Gemeinschaften, peripheren Regionen und nicht-westlichen Kunstkontexten will dieses Panel die vielschichtigen politischen, sozialen und kulturellen Dimensionen der Rezeption des Expressionismus beleuchten und neue Einblicke in die Rolle bieten, die der Expressionismus als künstlerische Ausdrucksform im politischen Aktivismus, in alternativen Kulturen und in den anhaltenden antikolonialen Debatten gespielt hat.

Leitung: Prof. Dr. Isabel Wünsche (Constructor University)

Prof. Dr. Isabel Wünsche ist Professor of Art and Art History an der Constructor University in Bremen. Sie studierte Kunstgeschichte, Klassische und Christliche Archäologie in Berlin, Moskau, Heidelberg und Los Angeles und wurde an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg promoviert. Ihre Forschungsinteressen sind die europäische Moderne und ihre globale Rezeption, die Avantgarde-Bewegungen, die abstrakte Kunst und Künstlernetzwerke. Sie hat zahlreiche Forschungsstipendien und Fellowships erhalten und vielfältige internationale Forschungsprojekte geleitet. Zu ihren jüngsten Publikationen gehören: The Routledge Companion to Expressionism in a Transnational Context (2018), Bauhaus Diaspora and Beyond: Transforming Education through Art, Design and Architecture (2019) und 100 Years On: Revisiting the First Russian Art Exhibition of 1922 (2022).

 

Miha Colner (Galerija Božidar Jakac – Museum of Modern and Contemporary Art): Peripheral Manifestations of Expressionism: A Case Study on Slovenia (EN)

Bezugnehmend auf die Ausstellung Faces of Expressionism, die 2018–19 im GBJ (Kostanjevica na Krki, Slowenien) und im GASK (Kutná Hora, Tschechische Republik) stattfand, werde ich den deutschen/österreichischen Expressionismus mit anderen Varianten in Mitteleuropa vergleichen. Mein Fokus liegt dabei auf den Besonderheiten des Expressionismus im slowenischen kulturellen Milieu im Gegensatz zu anderen Ausprägungen in Deutschland, Österreich, Kroatien und der Tschechoslowakei. Dabei werde ich auf die spezifischen soziopolitischen Kontexte eingehen, die die slowenische Gesellschaft, Kultur und Kunst der 1910er und 1920er Jahre geprägt haben und zur Verbreitung des Expressionismus in den peripheren kulturellen Milieus nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und darüber hinaus geführt haben. Fernerhin werde ich die lokalen Besonderheiten und spezifischen Merkmale des Expressionismus in stilistischer und thematischer Hinsicht berücksichtigen.

Miha Colner ist Kunsthistoriker und Kurator an der Galerija Božidar Jakac - Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Kostanjevica na Krki. Darüber hinaus ist er als Dozent und Publizist auf dem Gebiet der bildenden Kunst und visuellen Kultur tätig. Von 2017 bis 2020 war er Kurator am MGLC - International Centre of Graphic Arts und von 2006 bis 2016 am Photon - Centre for Contemporary Photography, beide in Ljubljana. Seit 2005 veröffentlicht er Artikel in Zeitungen, Zeitschriften und Fachpublikationen sowie in seinem Blog.

 

Lisa Hörstmann (Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart): German Expressionism and the Emergence of a Female Avant-Garde in South Africa (EN)

Die südafrikanische Moderne wurde maßgeblich von zwei expressionistischen Künstlerinnen geprägt: Irma Stern (1894–1966) und Maggie Laubser (1886–1973). Nachdem sie ihre Kindheit (und in Laubsers Fall auch frühe Erwachsenenzeit) in Südafrika verbracht hatten, kamen beide während ausgedehnter Aufenthalte in Berlin in den 1910er und 1920er Jahren mit dem Expressionismus der Brücke in Berührung. Aufgrund des zeitgenössischen Interesses an vermeintlich „primitiven“ Kulturen konnte sich insbesondere Stern als Frau und Malerin positionieren, die mit Südafrikas Schwarzen „natives“ bestens vertraut war. In der deutschen Presse wurde sie in dieser Hinsicht als Paul Gauguin und Max Pechstein gegenüber überlegen beschrieben. Meine Präsentation beschäftigt sich mit der Rezeption ihrer Werke sowohl in Deutschland als auch in Südafrika. Während Stern sich auf das „Exotische“ konzentrierte, war Laubsers Expressionismus eher häuslicher Natur. Ihre bewusst naiven Darstellungen ländlicher Farmszenen, die die dort arbeitenden Schwarzen und Coloureds im Einklang mit dem (kultivierten) Land und dem Vieh zeigten, wurden als authentische Darstellungen einer einfachen Wahrheit gelesen. Obwohl ihre Werke als Wertschätzung für Schwarze Südafrikaner*innen betrachtet werden können, verliehen sie auch der Segregation der südafrikanischen Gesellschaft zu jener Zeit Nachdruck.

Lisa Hörstmann wurde im Fach Kunstgeschichte im globalen Kontext/Afrika an der Freien Universität Berlin mit einer Dissertation zur südafrikanischen Moderne promoviert. Sie absolvierte Masterstudiengänge in Kunstgeschichte an der Open University und in Curating Visual Culture an der Sheffield Hallam University, beide in Großbritannien. Sie war u.a. als kuratorische Assistenz am MaximiliansForum in München und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Heiner Bastian Fine Art in Berlin tätig. Zurzeit ist sie wissenschaftliche Volontärin am Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart.

 

Dr. Erin Sullivan Maynes (Los Angeles County Museum of Art): Käthe Kollwitz and the New Woodcut Movement in China (EN)

In den frühen 1930er Jahren bildete sich in China die Neue Holzschnitt-Bewegung (New Woodcut Movement) heraus, die eine neue, kraftvolle Form der Druckgrafik entwickelte indem sie an die Tradition des Holzschnitts in China anknüpfte und diese mit dem groben, energetischen Stil und politisch engagierten Themen moderner Holzschnitte, insbesondere aus Deutschland, verband. Angeregt durch den Schriftsteller, Kritiker und Dichter Lu Xun (1881–1936) stießen die Künstler*innen dieser Bewegung auf die Arbeiten ihrer westlichen Kolleg*innen. Lu Xun betrachtete den Holzschnitt als das zugänglichste Medium, um revolutionäre Ideen unter die Massen zu bringen. In meiner Präsentation werde ich mich mit der Verbreitung der Drucke von Käthe Kollwitz in China während der 1930er Jahre befassen sowie mit der Art und Weise wie ihre Themen und ihr Stil von chinesischen Künstler*innen aufgenommen und adaptiert wurden.

Dr. Erin Sullivan Maynes ist Assistenzkuratorin im Robert Gore Rifkind Center for German Expressionist Studies am Los Angeles County Museum of Art. Zu ihren Ausstellungen gehört die aktuelle Pressing Politics: Revolutionary Graphics from Mexico and Germany (2022–23). Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen zählen Pressing Politics (LACMA, 2022) und “Making Money: Notgeld und die materielle Erfahrung der Inflation” (Art History, 2019). Ihre kuratorische Praxis  untersucht die Geschichte von Druck und Papier, und ihre Forschungsinteressen konzentrieren sich auf die Materialien, Technologien und Verbreitung von Druckkunst im 19. und 20. Jahrhundert.

 

Tamari Mchedlishvili (Ivane Javakhishvilli Tbilisi State University): The Influence of German Expressionism on Georgian Art of the 1980s and 1990s (EN)

Der Einfluss des deutschen Expressionismus ist in der georgischen Kunst der 1980er und 1990er Jahre, insbesondere in den Werken der 10th-Floor Artists, deutlich zu erkennen. Ab 1986 versammelte sich diese Gruppe junger Maler im zehnten Stock des Ateliergebäudes der Kunstakademie und überführte die Diskussionen zur europäischen Moderne in die künstlerische Praxis. Sie malten ihre neuen Ideen auf Leinwände und schufen so abstrakte und figurative Kompositionen, geprägt von verzerrten Formen, kräftigen und unnatürlichen Farben, dicken schwarzen Konturen und expressiven Pinselstrichen, die von der Kunst der Brücke-Künstler inspiriert und beeinflusst waren. Der expressionistische Stil der Brücke diente ihnen als Mittel, um ihren Widerstand und Protest gegen das etablierte sowjetische Kunstsystem zum Ausdruck zu bringen. In meinem Beitrag werde ich untersuchen, wie der Expressionismus die georgische Kunst der 1980er und 1990er Jahre beeinflusste und in welcher Weise er die Arbeit der Künstler prägte.

Tamari Mchedlishvili promiviert gegenwärtig in Kunstgeschichte an der Tbilisi State University in Georgien. Ihre Forschung konzentriert sich auf den Einfluss des deutschen Expressionismus und Neo-Expressionismus auf die georgische Kunst der 1980er und 1990er Jahre. 2018 gründete sie das Contemporary Art Studio „not a museum“, ein Bildungszentrum und Forschungslabor. Sie ist außerdem Mitglied der gemeinnützigen Organisation „new collective for art“, die sich mit kreativen Arbeiten gesellschaftlichen Themen widmet. Seit 2012 hat sie an verschiedenen künstlerischen Veranstaltungen und Projekten teilgenommen. Derzeit arbeitet sie als Kunstmanagerin und Kuratorin in der Contemporary Art Gallery Novo in Tiflis.

 

Katrin Nahidi (Universität Graz): Expressionistic Tendencies in Iran (EN)

Anhand der Analyse von Charles Hossein Zenderoudis Who is this Hossein the World is so crazy about? (1958) werde ich die Verwendung religiöser Ikonografie in einer expressionistischen Sprache als bedeutendes Werkzeug, um künstlerischen Ausdruck innerhalb der fortlaufenden antikolonialen Debatten um die Westoxifizierung des Irans zu positionieren, untersuchen. Diese künstlerische Sprache ermöglichte es dem Künstler, sich shi’itischen Ikonografien aus einer frischen Perspektive anzunähern und shi’itische Traditionen in die Gegenwart zurückzubringen. Der Expressionismus bot ein politisches Erbe und eine wirkungsvolle, jedoch bildliche Sprache, um das etablierte Dekor der shi’itischen Ikonografie im Iran herauszufordern. Er diente als visuelles Mittel, um das Leiden von Imam Hussein zu intensivieren und es als Erfahrung von Schmerz, Elend und Verwüstung darzustellen; sie prägte die politische und intellektuelle Diskussion im Iran ab den 1960er Jahren.

Kathrin Nahidi ist wissenschaftliche Assistentin für Moderne und Gegenwartskunst am Institut für Kunstgeschichte der Universität Graz. Sie studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Kultur des Nahen Ostens sowie Neuere deutsche Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Dissertation wurde im Rahmen des Sinergia-Projekts Other Modernities – Practices and Patrimony of Visual Expression Outside the West vom Schweizer Nationalfonds an der Universität Bern und an der Freien Universität Berlin gefördert (2013–2017). 2023 erscheint ihre Monographie unter dem Titel The Cultural Politics of Art in Iran: Modernism, Exhibitions, and Art Production bei Cambridge University Press.

 

Dr. Rahul Dev (National Museum Institute, Noida/New Delhi): German Expressionism and its Reception in Indian Modernism (EN)

Expressionistische Weltanschauungen spiegeln Veränderungen in von Krieg gezeichneten Gesellschaften und stellen sich der Industrialisierung und Rationalisierung des Alltagslebens entgegen. Indem ich die Rezeption des Expressionismus in der indischen Moderne der späten 1980er bis 2000er Jahre betrachte, werde ich zeigen, wie das expressionistische Idiom zu einem wesentlichen Merkmal in der Praxis mehrerer indischer Künstler wurde. Ihre Werke waren geprägt von politischen Katastrophen und Aktivismus; sie entstanden an der Schnittstelle von Geschlecht, Klasse und Kaste.

Dr. Rahul Dev unterrichtet Kunstgeschichte und Deutsch am National Museum Institute (NCR) in Delhi, Indien. Seine Dissertation (von der Jawaharlal Nehru University, Delhi) beschäftigt sich mit dem deutschen Expressionismus und seiner Rezeption in der modernen indischen Kunst. Seine aktuellen Forschungsinteressen umfassen Kunstgeschichte, Kunstkritik, Germanistik und Marginal Art. Er hat Stipendien von Institutionen wie den Staatlichen Museen zu Berlin und dem Getty Research Institute erhalten und an Publikationsprojekten mit dem Asia Art Archive und dem Arts Development Program in Delhi gearbeitet. Als Co-Kurator wirkte er mit an der Bodhgaya Biennale. Seine Rezensionen und Essays, darunter ein Artikel über Expressivität in indischen Kunstkollektiven, sind vielfach veröffentlicht worden.


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