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Stopp 1 auf dem Audiowalk: Eine Brücke in die Zukunft

Der vom Künstlerduo Po:era entwickelte Audiowalk führt zu sechs Adressen in Friedenau, an denen die Brücke-Künstler sowie die mit ihnen befreundete Malerin Emma Ritter, und Emy Fisch, die spätere Ehefrau von Karl Schmidt-Rottluff und Foto-Dokumentaristin der Gruppe, wohnten. Aus ihrer Perspektive erfahren wir mehr darüber, wer die Menschen hinter der Brücke-Kunst waren und wie sie auch jenseits ihres künstlerischen Schaffens die Konventionen ihrer Zeit in Frage stellten.

Unter Berücksichtigung der historisch überlieferten Fakten erzählen Po:era in sechs Kapiteln fiktionalisierte Geschichten, die sich an den verschiedenen Schauplätzen so oder so ähnlich zugetragen haben könnten. Eingebettet sind die an klassische Hörspielformate angelehnten Szenen in eine Begleiterzählung, die nicht nur Infos zur jeweiligen Adresse und Tipps für den Spaziergang durch Friedenau beinhaltet, sondern immer wieder auch den Bogen zur heutigen Zeit schlägt und die Errungenschaften der Künstlergruppe in aktuelle Diskurse einordnet.

Wir empfehlen den ca. 90-minütigen Hörspaziergang in der vorgeschlagenen Reihenfolge und an einem Stück zu machen, beginnend in der Durlacher Straße 15 in unmittelbarer Nähe zum S-Bahnhof Bundesplatz. Die Route zum jeweils nächsten Stopp ist auf der Karte eingezeichnet, die bei eingeschalteter Standortfunktion die Orientierung vor Ort erleichtert. Jedes Kapitel enthält Fotos zur Identifizierung der genauen Adressen. Der Audiowalk kann aber auch von zuhause und in beliebiger Reihenfolge abgerufen werden. Begleitende Musikstücke am Ende jedes Kapitels verschönern die Wege von einem Stopp zum nächsten und erzeugen ein Gefühl für die Zeit, zu der die Brücke-Künstler in Berlin lebten. Das beste Hörerlebnis bieten Kopfhörer in ausreichender Qualität.

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Wohnateliers von Max Pechstein (1909–1912) und Ernst Ludwig Kirchner (1911–1913)
Malschule MUIM-Institut (1911–12)

Wohnen und Arbeiten

„Mein hießiges [sic] Lokal ist etwas mehr den Konventionen angepasst als das Dresdner, aber einiges interessante wie der Diwan mit geschnitzten Figuren von mir und der Teetisch mit 3 Säulenfiguren ist noch da […].“

Ernst Ludwig Kirchner an die Sammlerin Luise Schiefler, März 1912

Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Otto Mueller beim Schach, 1913, Brücke-Museum

Im sogenannten Bieberbau verschmelzen Kunst und Leben: Im Vorderhaus liegt eine beliebte Künstler*innenkneipe; der Gartenflügel beherbergt mehrere Atelierräume. Dort frönt man dem Boheme-Leben: Tür an Tür wird an neuen Werken gearbeitet, man tauscht sich über Kunst aus, man wohnt und feiert zusammen.

Max Pechstein zieht 1909 als erster Brücke-Künstler in die Durlacher Straße. 650 Mark Miete im Jahr zahlt er für sein Atelier mit Heizung in der zweiten Etage. Bevor ihm die anderen Gruppenmitglieder im Herbst 1911 aus Dresden in die Reichshauptstadt folgen, kommen insbesondere Kirchner und Erich Heckel immer wieder für längere Besuche bei dem Freund unter. Vor allem Kirchner ist fasziniert vom Leben im Bieberbau. So verwundert es nicht, dass er bald Pechsteins Ateliernachbar wird.

„Noch immer langte es in meiner Berliner Existenz nicht, weder hinten noch vorn. Schmalhans blieb Küchenmeister. In der Durlacherstr. 14, wo ich neben Scheibe und Marcks mein Atelier hatte, arbeitete ich wild und übertäubte den Hunger mit Kaffeetrinken und Tabakrauchen.“

Max Pechstein in seinen Erinnerungen, 1945/46

Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der Tänzerin Erna Schilling, gestaltet er das neue Zuhause als Gesamtkunstwerk: Bemalte Wände, bestickte Stoffe und selbst entworfene Möbel schmücken den Raum. Anregung dafür findet er in den Formensprachen von Werken aus Ozeanien, Zentralindien und Westafrika, wobei sein Interesse rein ästhetischer Natur ist – eine Reflexion kolonialer Kontexte bleibt aus. Kirchners „exotisierender Blick“ ist eng mit seinem Bestreben verbunden, sich von den starren Konventionen der kaiserzeitlichen Gesellschaft abzusetzen.

Ernst Ludwig Kirchner, Häusliche Szene (Gewecke und Erna), 1913, Brücke-Museum

Ernst Ludwig Kirchner, Unterhaltung, 1913, Brücke-Museum

Als Pechstein und er im Winter 1911 zur Aufbesserung ihrer Finanzen eine private Kunstschule – das MUIM-Institut (Moderner Unterricht in Malerei) – gründen, wird Kirchners Wohn- und Atelierraum zudem Lehrsaal. Beider Anspruch ist, einen lebensnahen Gegenentwurf zum traditionellen akademischen Unterricht zu schaffen. Mit eigens gestalteten Anzeigen und Plakaten versuchen sie, auf sich aufmerksam zu machen – jedoch mit enttäuschendem Ergebnis. Lediglich zwei Schüler, Werner Gothein und Hans Gewecke, zählt die Schule. Stattdessen zieht sie die Aufmerksamkeit des konservativen Kunstbetriebs auf sich: Anton von Werner, Künstler und Direktor der Königlichen Akademie, lässt das Institut aufgrund vermeintlicher „schamloser [Unterrichts-]Methoden“ mehrere Monate von der Polizei bespitzeln.

„Eure Exzellenz glaube ich das beifolgende Blatt ‚Prospekt eines neuen Kunstunterrichtsinstituts‘, das mir kürzlich zu Gesicht kam, ganz gehorsamst unterbreiten zu dürfen. […] Alle unsere Bestrebungen für die Heranziehung und Ausbildung der Jugend zu künstlerischem Schaffen und Empfinden sind ebenso nutzlos wie vergeblich gegenüber Möglichkeiten wie dieses Muim-Institut mit seinem schamlosen Titelblatt und seinem ‚modernen Unterricht, durch Anschauung und Erleben, auch für Nichtausübende‘, denn dieses Unkraut überwuchert und erstickt ja alles gesunde Leben und bringt uns im Namen der Freiheit der Kunst immer weiter herunter.“

Anton von Werner, Direktor der Königlichen Akademie, an den Preußischen Erziehungsminister, 7. Dezember 1911

Das Vorgehen offenbart die massive Ablehnung staatlicher Institutionen in dieser Zeit gegenüber Kunst, die nicht den traditionellen Erwartungen entspricht. Dass die Überwachung schnell eingestellt wird, ist vermutlich dem ausbleibenden Erfolg von MUIM geschuldet − nach nur einem Jahr ist Schluss.

Das Scheitern des gemeinsamen Projektes geht einher mit der zunehmenden Anerkennung Pechsteins im Berliner Kunstbetrieb. Beides setzt der Freundschaft hart zu und er verlässt 1912 die Durlacher Straße. Ein Jahr später, als die Brücke als Gruppe zerbricht, zieht auch Kirchner aus.

Valentina Bay

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